Schreiben - langsam oder schnell?
Darüber, ob ich meine Artikel besser in einem Rutsch schreiben sollte
Mich beschäftigt gerade der Gedanke, dass ich meine Artikel vielleicht fertig schreiben muss, solange eine Idee für mich gerade heiß und aktuell ist, weil wenn ich damit bis auf den nächsten Tag warte, fühlen sich das Geschriebene und das Thema häufig schal und abgestanden an. Ich muss mit meiner Energie gehen, die Welle reiten, wenn sie kommt, denn diese Energie lässt sich an einem anderen Tag nicht wieder rekonstruieren. Deshalb ist es vielleicht gescheit, meine Artikel so schnell wie nur möglich zu schreiben, ohne langwierige und ausführliche Revisionen. Ich kann mir die Option geben, den Entwurf an den kommenden Tagen durchzulesen und zu überarbeiten, dann aber sollte ich ihn in die Welt entlassen und mich einem anderen Thema widmen, das mich gerade beschäftigt.
Dieser Gedanke erinnert mich an das Interview mit Jason Fried bei David Perells “How I Write”. Er schreibt nicht jeden Tag (was ich nicht imitieren würde, denn ich höre sonst wahrscheinlich wieder ganz mit dem Schreiben auf), sondern er schreibt dann, wenn ihm eine Idee unterkommt und reitet dann die Welle, bis er die Sache fertig niedergeschrieben hat, egal wie lange es auch dauern mag. Er schreibt wie ein Sprinter, nicht wie ein Marathonläufer.
Vielleicht sollte ich auch versuchen, wie ein Sprinter zu schreiben, um meine Ideen besser und regelmäßiger zu formulieren und zu veröffentlichen. Vielleicht liegt mir die Form mehr, bei der man mehrmals die Woche einen kleinen Beitrag schreibt, statt lange an einem Artikel zu arbeiten. Das ist von Fall zu Fall sicher unterschiedlich und man sollte sich da nicht unnötig auf eine Methode festlegen - an manchen Artikeln schreibt man halt mehrere Wochen, weil man viel recherchieren muss und zu dem einen Thema mehr zu sagen hat. Zu anderen Themen schreibt man seine tausend oder so Wörter grob heraus, überarbeitet das Ganze ein wenig und veröffentlicht es dann.
Seth Godin beispielsweise veröffentlicht seit Jahren in seinem Blog jeden Tag einen Artikel. Das ist eine bewundernswerte Leistung, aber ich glaube nicht, dass mir dieses Format liegt, denn dafür werden meine Artikel schnell zu lang und ich möchte auch die Freiheit haben, einmal länger und ausführlicher über etwas zu schreiben und dafür dann seltener etwas zu veröffentlichen.
Unabhängig von der Dauer der Beschäftigung sollte man darauf achten, sich dabei keinen “Scope Creep” einzuhandeln, der darin besteht, dass man damit beginnt, neue Themen mit einfließen zu lassen, sodass sich der Artikel immer weiter aufbläht. Das ist mir zuletzt bei meinem Artikel über das Problem mit der muslimischen Immigration nach Europa wahrscheinlich passiert. Es ist wahrscheinlich gescheiter, sich zu überlegen, welche einzelnen Aspekte eines Themas man sich ansehen kann und dann eine Reihe kürzerer Beiträge darüber zu schreiben, die man dann am Ende miteinander verlinkt. Ich glaube auch, dass die meisten Leute lieber eine Reihe kürzerer Beiträge, über mehrere Tage verteilt, lesen als von einem überlangen Beitrag von tausenden Wörtern erschlagen zu werden, den zu lesen ewig dauert.
Das Grundprinzip lautet, dass sich das Format dem Inhalt und der eigenen Persönlichkeit anzupassen hat, denn es geht am Ende darum, Ideen zu formulieren und zu vermitteln, der Rest ist Nebensache.
Damit verbunden ist für alle Schreibenden, deren Muttersprache so wie bei mir nicht Englisch ist, die Frage, ob sie ihre Artikel erst in ihrer Muttersprache schreiben sollen. Der Vorteil des Schreibens in der eigenen Muttersprache ist, dass man dadurch einerseits eine weitere Publikationssprache hat, die andere nicht bieten können und dass einem andererseits die eigene Muttersprache natürlich ein ganz anderes Quantum an Ausdrucksfreiheit erlaubt. Mein Englisch ist zwar gut, aber es ist trotzdem oft steif und hölzern und man merkt beim Lesen häufig einfach, dass es nicht meine Muttersprache ist, sondern dass ich es mir später erst angeeignet habe und mein Schatz an Ausdrucksformen beschränkt ist.
Der Vorteil, die Artikel gleich auf Englisch zu schreiben, ist, dass ich sie dann schneller veröffentlichen kann und dass ich den Ton der Sprache gleich von Beginn an im Griff habe. Mein Arbeitsprozess sieht derzeit so aus, dass ich meine Artikel ursprünglich auf Deutsch schreibe und sie dann in einem ersten Schritt mit DeepL auf Englisch übersetzen lasse. Wenn ich den Inhalt erst übersetzen lasse und dann die Übersetzung stellenweise überarbeite, ist das Ergebnis am Ende aber sicher nicht dasselbe, als wenn ich es von Anfang an auf Englisch geschrieben hätte.
In vielen Fällen kommt noch dazu, dass ich mich inhaltlich mit Themen beschäftige, mit denen ich mich ohnehin ursprünglich auf Englisch auseinandergesetzt habe. Da wirkt es dann oft erst recht steif, wenn ich versuche, auf Deutsch darüber zu schreiben, obwohl das ganze Vokabular, in dem ich über das Thema denke, eigentlich mehrheitlich englisch ist.
Die Frage ist, wie viel Mehrwert eine deutsche Version meiner Artikel bietet. Das Publikum für deutschsprachige Blogartikel ist deutlich kleiner als das Publikum für englischsprachige Inhalte. Wenn ich über Themen schreibe, die eigentlich nur das Publikum in Österreich oder im deutschsprachigen Raum interessieren, dann hat es natürlich Vorteile, wenn ich sie auch auf Deutsch veröffentliche. Aber sonst glaube ich nicht, besonders viele zusätzliche Leser zu erreichen, die den Inhalt nicht auch auf Englisch gelesen hätten, da viele Menschen in diesen Ländern ohnehin ständig englischsprachige Inhalte konsumieren.
Für mich ist die deutsche Version ehrlich gesagt immer nur ein Nebenprodukt. Ich denke vor allem an das englischsprachige Publikum, wenn ich schreibe, denn ich erreiche in erster Linie englischsprachige Leser, wenn ich abseits der eigenen Artikel nur dadurch für andere sichtbar werde, wenn ich auf Substack englischsprachige Kommentare unter englischsprachige Beiträge setze.
Gemessen daran wäre ich besser beraten, meine Beiträge künftig einfach nur noch gleich auf Englisch zu schreiben. Ich werde aber trotzdem vorerst dabei bleiben, die Artikel erst auf Deutsch zu schreiben, denn ich schätze die Freiheit im Ausdruck höher als alle anderen Themen.
Derzeit ist es so, dass ich mir jeden Tag vornehme, mindestens eine Stunde der Arbeit an meinen Artikeln zu widmen - erst dem Entwurf, dann der Überarbeitung und schließlich der Übersetzung und Veröffentlichung. Ich mache dabei die Erfahrung, dass ich in dieser einen Stunde in der Regel zwischen 800 und 1.500 Wörter schreiben und dabei teilweise auch bereits die ersten Überarbeitungen erledigen kann. Viele Ideen lassen sich in diesem Format ausführlich genug behandeln, andere brauchen entweder mehr Zeit und Platz, oder aber sie sind, wie weiter oben beschrieben, besser in einzelne Aspekte zerlegt, die man dann an unterschiedlichen Tagen in eigenen Artikeln behandelt.
In der Vergangenheit ist es mir dabei leider häufig passiert, dass ich mich, getrieben von einem initialen Enthusiasmus, an einen Artikel gesetzt habe, daran dann ein paar Tage gearbeitet habe, nur um dann die Lust darauf zu verlieren und ihn dann nie fertigzustellen und zu veröffentlichen. In meinen Ordnern liegen viele solcher Ideen-Leichen herum, aus denen nie ein fertiger Artikel geworden ist. Bei fast allen diesen Artikeln wäre es besser gewesen, ich hätte in den ersten Tagen mehr und schneller daran gearbeitet, als die Ideen noch warm waren und sie veröffentlicht, ehe ich das Interesse daran verliere. Ich habe zwar seit langem vor, diese Entwürfe doch noch irgendwann für die Veröffentlichung fertig zu bekommen, es ist mir aber bisher nicht gelungen. Das ist eine große Verschwendung an Zeit und Mühe.
Deshalb werde ich künftig versuchen, schneller von der Idee zum veröffentlichten Artikel zu kommen um so mehr Standpunkte mit der Welt teilen zu können. Mein Lieblingsblogger Noah Smith beschreibt das ähnlich in seinen Tipps zum Schreiben. Auf die Frage nach seinem eigenen Schaffensprozess meint er, dass er nicht wirklich einen hat. Er liest einfach Inhalte zu einem Thema, schreibt seine Gedanken dazu auf und veröffentlicht sie, ohne sie noch groß zu überarbeiten, da das die Qualität der Artikel seiner Erfahrung nach nicht wirklich verbessert. Da ich viele seiner Beiträge äußerst aufschlussreich und interessant finde, kann ich diesem Zugang kaum widersprechen. Dabei darf man aber gleichzeitig nicht vergessen, dass, wie ich in meinem Artikel über die Substanz im Schreiben bereits erörtert habe, Noah in demselben Artikel auch darüber schreibt, wie viel man vorher lesen sollte, ehe man über etwas schreibt - seiner Meinung nach etwa 20 Artikel. Das ist natürlich einfacher, wenn man das Schreiben wie Noah hauptberuflich betreibt, als wenn man sich eine Stunde am Tag dafür freispielen muss.
Diese Pflicht zur Gründlichkeit steht dem Wunsch nach einer raschen Fertigstellung natürlich zu einem gewissen Grad im Weg. Dennoch denke ich, dass es grundsätzlich eine gute Idee ist, mit dem Ziel an einem Artikel zu arbeiten, möglichst rasch damit fertigzuwerden. Das hält die Spannung aufrecht und hindert einen daran, bequem und lasch zu werden. Für mich gilt das im Besonderen, da ich leider sehr zu dieser Erschlaffung neige. Ich bringe erfahrungsgemäß bessere Leistungen, wenn ein gewisser Druck da ist, der mich vorwärts treibt. Deshalb ist es für mich wahrscheinlich nicht das Richtige, auf einen festen Veröffentlichungstermin am Ende der Woche hinzuarbeiten, denn das bringt mich, ganz gemäß Parkinsons Gesetz, nur in Versuchung, auch mindestens so lange zu brauchen und dann im schlimmsten Fall erst recht gar nicht damit fertig zu werden.
Obwohl ich noch nicht so lange schreibe, weiß ich bereits aus Erfahrung, dass ich, wenn ich mich nicht, wie weiter oben beschrieben, mit “Scope Creep” verzettele, nicht mehr als eine Woche dafür brauchen sollte, einen Artikel fertig zu bekommen, denn gewöhnlich gelingt es mir, die wichtigsten Punkte eines Artikels in einer bis zwei Stunden niederzuschreiben.
Dazu kommt, dass es im Zweifelsfall auch möglich sein muss, einen Artikel zu veröffentlichen, wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher bin, ob ich alle Aspekte darin richtig behandelt habe. Das soll natürlich keine Einladung zur Schlampigkeit sein. Es ist aber normalerweise darauf Verlass, dass die Leser Fehler in der Regel nicht durchgehen lassen und den Autor in den Kommentaren nur zu gerne darauf aufmerksam machen.
Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das berühmte Experiment mit den Fotografien, bei dem Schüler in zwei Gruppen geteilt wurden. Einer Gruppe wurde gesagt, dass sie jeden Tag eine Fotografie abgeben müssen und am Ende des Kurses nach der Anzahl ihrer Fotografien bewertet werden (die Quantitäts-Gruppe). Der anderen Gruppe wurde gesagt, dass sie erst am Ende des Monats eine einzige Fotografie abgeben müssen, und dann nach der Qualität dieser Fotografie bewertet werden (die Qualitäts-Gruppe). Das Ergebnis war, dass die Qualität der Fotografien der Quantitäts-Gruppe, die jeden Tag etwas abgeben musste, am Ende besser war, als die der Qualitäts-Gruppe, die erst am Ende nur einmal etwas abgeben musste. Dieses Ergebnis wird gewöhnlich damit erklärt, dass durch den Akt des regelmäßigen Abgebens die Quantitäts-Gruppe deutlich schneller dazu lernen konnte, während in der Qualitäts-Gruppe die Versuchung groß war, die meiste Zeit entweder mit dem Nachdenken über Fotografie oder auch Aufschieberei zu verbringen, statt dem eigentlichen Tun, an dem man wächst.
Umgelegt auf das Schreiben ist dieses Ergebnis ein Plädoyer, schneller und häufiger zu veröffentlichen, um möglichst rasch zu lernen und vom eigenen Publikum Rückmeldung darüber zu erhalten, wofür es sich interessiert, welche Fehler man gemacht hat und in welche Richtung sich das eigene Schreiben eventuell entwickeln sollte.
Ich werde mir deshalb für die Zukunft vornehmen, mindestens einen Artikel die Woche fertig zu bekommen, idealerweise aber schneller damit fertig zu werden und idealerweise noch mehr in dieser Woche zu veröffentlichen.